Der rationale Extrempendler

»Wenn ich zu Hause bin, habe ich alle Anrufe erledigt.«

Gut begründeter Selbstbetrug

Am Rande von Workshops und Vorträgen entstehen zahlreiche Smalltalk-Situationen. Diese sind stets unterhaltsam: Einerseits muss man nicht immer über fachliche Themen sinnieren, andererseits ist es interessant festzustellen, wie im Laufe der Zeit gewisse Argumente zu Stereotypen werden. So entspinnt sich beim Geplänkel über die angenehme oder verspätete oder wie auch immer geartete Anreise der Referenten stets ein Gespräch über die Wohnorte der anwesenden Smalltalker.

Interessanterweise ist immer ein Extrempendler dabei. Dieser wehrt sich jedoch souverän lächelnd gegen das Bedauern, das angesichts seines täglichen Anfahrtsweges von mindestens 100 Kilometern (einfache Strecke) sofort aufkommt. Es folgen exakt folgende Begründungen, warum es überhaupt kein Problem, sondern geradezu ideal sei, täglich über drei Stunden im Auto oder in der Bahn sitzen:

  • Ich fahre antizyklisch. Auf der Autobahn stehen sie nur in der Gegenrichtung.
  • So viele Hörbücher wie ich kann sonst keiner hören.
  • Wenn ich ins Büro komme, habe ich schon die wichtigsten Telefonate geführt.
  • Wenn ich nach Hause komme, habe ich schon alle Mails des Tages beantwortet.
  • Von A nach B innerhalb Hamburgs wäre ich genauso lange unterwegs.
  • Auf der Fahrt kann ich richtig entspannen. Zu Hause bin ich dann wirklich zu Hause.
  • Fast 4.000 Amerikaner fliegen täglich zur Arbeit nach New York.

Wir nehmen uns vor, beim nächsten Vortrag den Aspekt der nachträglichen Sinngebung in pointierterer Form zu thematisieren. Dabei wird sich noch klarer erweisen, dass intuitiv getroffene oder irgendwie zustandegekommene Entscheidungen rückwirkend »rationalisiert« werden.

Oder sollten wir doch noch weiter aufs Land ziehen?

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